Bubenhofer Tal

Furchtlos und treu ist der Wahlspruch der Liebe.

 diesen Aphorismus verdanken wir dem Lyriker Emanuel Geibel. Aber nicht nur die Liebe ist „furchtlos und treu“, auch die Württemberger, schenkt man dem Schriftzug Glauben,welcher auf der Württemberg-Flagge prangt. Dieser Banner begegnete den 28 gut gelaunten und fröhlichen Wandersmännern und -frauen, welche auf den Spuren des alten Adelsgeschlechts der Bubenhofer wandelten, auf Vollmast gehisst, flatternd im Wind.

Mit Ohren- und Pulswärmern, Handschuhen, Stöcken, Schals, Mützen und Kapuzen versehen, formierte sich die Gruppe am Ortsausgang des seit 1315 mit Stadtrechten versehenen, beschaulichen 1000-Seelen-Städtchens Binsdorf. Wir trafen uns vor dem „Gasthaus zum Löwen“. Nach dem obligatorischen Gruppenfoto und der Begrüßung durch unseren Wanderführer Aloysius Fisahn, marschierten wir los. Nach maximal 100 Metern hielten wir zum ersten Mal an, um etwas über den Anbeginn der Geschichte, d.h. über Adam und Eva sowie der Entstehung von Binsdorf zu hören.

Die beiden zuerst genannten glänzen seit 1905 als Jugendstil-Relief auf der Außen-fassade eines Backsteingebäudes nahe dem Zentrum von Binsdorf. Das jetzige Wohnhaus diente in früheren Zeiten als Gastwirtschaft, welche den sehr treffenden Namen „Zum Paradies“ führte, unter welchem das Gebäude heute noch im Umkreis bekannt ist. Bei kritischem Betrachten von Adam und Eva konnte der Bewunderer erkennen, dass die beiden nicht ganz schlecht im Futter standen. Zwei Damen aus den Reihen der Wanderer bemerkten etwas trocken: die haben ja ein paar ganz nette Fältchen oder, wie es auf neudeutsch so schön heißt: love handles. Von der biblischen Entstehungsgeschichte schlug Aloysius den Bogen zur erdkundlichen.

Diese begann für Binsdorf, wie auch für den Rest der Welt, vor zig Millionen von Jahren. Das Zusammenfließen zweier unterschiedlich temperierten Meere sorgte dafür, dass das heutige Binsdorf auf der Schichtstufe des sehr fruchtbaren Schwarzen Juras, auch Lias genannt, liegt. Ein kaltes und ein warmes Meer prallten aufeinander. Das kalte Wasser wurde vom warmen eingenommen, überschwemmt und unterdrückt, so dass es keine Chance mehr hatte an Sauerstoff zu gelangen. Konsequenterweise starben daraufhin all seine Lebewesen und Pflanzen eines Erstickungstodes, lagerten sich ab und wurden zu wunderschönen Fossilien oder eben ertragreichen Ackerböden. Letztendlich war der Namensgeber für Binsdorf wohl die bereits in der Karolingerzeit vorkommenden Binsen. Diese lieben feuchten bis nassen Boden, welcher sich an manchen Stellen bis heute erhalten hat, wie wir auf unserer Tour später noch sehen konnten. Aloysius präsentierte dieses hochkomplexe Thema so bildhaft, dass es seine Zuhörer, im wahrsten Sinne des Wortes, vor ihren geistigen Augen sehen konnten, wie sich der Schwarze Jura bildete.

Eine Teilnehmerin flüsterte mir ins Ohr: „Wow, jetzt habe ich es endlich kapiert, wie das mit dem Schwarzen Jura war. So oft habe ich schon davon gehört und gelesen, doch jetzt ist es verinnerlicht.“ Ziel erreicht.

Da es doch etwas frisch war und die Füße kalt wurden, zogen wir weiter zum nächsten Höhepunkt in Binsdorf, der St. Markus Kirche und dem ehemaligen Frauenkloster. Keine Menschenseele, außer uns natürlich, war unterwegs. Wir frotzelten, dass wir wohl selbst die größte Attraktion an diesem Tag in Binsdorf seien, denn wir hatten durchaus das Gefühl, dass wir hinter den verschlossenen Fenstern wahrgenommen wurden. Kirche und Kloster sind beeindruckende Gebäude. Interessanter Weise wurde der Kirchturm erst einige Jahre nachdem der Hauptteil errichtet wurde angebaut. Das Kloster wurde immerhin 494 Jahre betrieben und war dem Dominikanerorden angeschlossen. Beim Passieren der nördlich des Kloster gelegenen Grundschule von Binsdorf erfreuten wir uns an dem über dem Eingang angebrachten Spruch: Lerne spare leiste was, dann kannst du hast du bist du was!

Binsdorf wurde insgesamt von drei großen Bränden heimgesucht, welche jeweils fast die ganze Stadt zerstörten. Das Kloster und die Kirche blieben verschont. Nach einem kurzen Stopp vor dem Rathaus ging es zügig gen Fischermühle weiter. Beim aus der Stadt Streben begegneten uns noch ein paar Kuriositäten. Eine wahrscheinlich schon seit Ewigkeiten nicht mehr genutzte Litfaßsäule, ausrangierte Ackergeräte, verzwirbelte alte Bäume, Skulpturen und weitere Hausinschriften.

Bei Beginn des Abstiegs zur Fischermühle hatten wir ausgezeichnete Sicht auf Rosenfeld, welches von einem eckigen Kasten, dem voll automatisierten Hochregallager der Firma Blickle, dominiert wird. Bevor wir in den Wald eintraten stoppte Aloysius und erzählte uns von den Wesen des Waldes und dass man gut daran tut, diese vor dem Betreten des Waldes um Erlaubnis dafür zu bitten.

Man bekommt ein Gespür dafür, ob das Durchschreiten positiv aufgenommen wird oder nicht. Wenn es nicht gewünscht ist, braucht man sich nicht zu wundern, wenn man über seine eigenen Füße stolpert, einem ein Tannenzapfen oder ähnliches auf den Kopf fällt, oder sonst etwas Merkwürdiges geschieht. Probiert es aus und achtet auf den ersten Gedanken, den ihr nach dem Betreten des Waldes erhaltet.

Früher führten natürlich entstandene Wege in die Wälder. Heute werden diese passend für die Forstwirtschaft angelegt. Aloysius machte uns auf Brombeersträucher aufmerksam. Diese, könnten sie ihrem natürlichen Trieb folgen, hätten schon längst den Waldweg, auf dem wir standen, überwuchert. Dem natürlichen Eintritt in den Wald halten sie im Normalfall den Platz frei.

Der Weg war stellenweise noch mit Schnee und Eis bedeckt, so dass wir aufpassen mussten, dass wir nicht ausrutschten. Auf halber Höhe zur Fischermühle hielten wir nochmals an, um einen Blick durch die noch kahlen Bäume auf die Heilgenmühle zuwerfen. Die erste der vier Mühlen, welche den Bubenhofern gehörte und diesen, unter anderem, zu ihrem Reichtum verhalf. Doch das ganze Geld hat nichts genutzt. Es wurde bereits im 16. Jahrhundert durch aufwändige Lebensführung und Prachtentfaltung verschleudert, so dass die einst wohlhabendste Familie Schwabens verarmte und 1814 mit Wilhelm Freiherr von Bubenhofen, königlich bayerischer Generalmajor, im Mannesstamm ausstarb.

Im Tal angekommen passierten wir die Lagd der Lehr- und Versuchsimkerei Fischermühle. Eine Lagd ist ein überdachter, halboffener Bienenstand. Aktuell befinden sich dort fast keine Beuten (Bienenwohnungen), da Baumaßnahmen zum Verschönern der Lagd für das 30jährige Jubiläum, welches am 9. und 10. April 2016 gefeiert wird, im Gange sind. Der Weg führte weiter über die erst vor kurzem renovierte Sandsteinbrücke von 1828. Heute verläuft genau in der Mitte der Brücke die Markungsgrenze zwischen Rosenfeld und Geislingen, also Binsdorf. Und früher war sie die Grenze zwischen Vorderösterreich und Württemberg. Die Wappen der beiden Länder sind noch als Steinreliefs zu sehen.

Unsere Vesperpause verbrachten wir im Veranstaltungssaal von Mellifera e. V., einem Imkerverein für wesensgemäße Bienenhaltung. Da ich als Mitarbeiterin (Veranstaltungs-organisation) in Besitz des Schlüssels bin, konnten wir im Trockenen sitzen und gemütlich essen. Zusammen mit meiner Kollegin von der Öffentlichkeitsarbeit legten wir einen Werbeblock für Mellifera (www.mellifera.de) ein und informierten die Wanderer über unsere imkerliche und politische Arbeit.Es ging auch ganz lustig zu. Ein Witz jagte den anderen und eine Mitwanderin, welche aus Österreich stammt, musste so manches über sich ergehen lassen. Doch sie konterte geschickt, so dass fast kein Auge vor lauter Lachen trocken blieb.

Heiligenmühle, Fischermühle, Pelzmühle. Mit der dritten Mühle hatten wir nur Blickkontakt und erhielten aus der Ferne einige interessante Informationen dazu. Ein Aspekt beeindruckte mich besonders. In der früheren Pelzmühle soll sich eine „Freistatt“ befunden haben. Wer dort in eine bestimmte Stube flüchten konnte, dem durfte nichts mehr geschehen. Dies traf wohl nur für Württemberger zu, denen es gelang nach Binsdorf -Österreich zu kommen. Wir befanden uns mitten im Grenzgebiet und schlängelten uns, nachdem wir über geteerte und geschotterte Waldwege gewandelt waren, auf einem Trampelpfad gen Talsohle und zur nächsten Mühle entlang. Dort lagen drei riesige gefällte Bäume und die Reste eines Feuers schwelten noch. Es herrschte eine eigentümlich Stimmung und wir versammelten uns gerne, um weiteren Input von Aloysius über die Gegebenheiten längst vergangener Zeiten zu erfahren. Die vierte Mühle im Bunde, die Binsdorfer Mühle, lag vor uns. Sie dient jetzt als Pumpstation. Wir mussten nur noch die Landstraße überqueren um sie zu erreichen. Dort angekommen, staunten wir nicht schlecht, wie schön dieses Anwesen renoviert und die Außenanlagen gepflegt waren. Hier flatterte die Eingangs erwähnte Württemberg-Flaggeim Wind. Nicht nur ich, auch einige andere Ortsansässige meinten, dass sie schon solange in der Gegend wären, aber noch nie an diesem schönen Ort gewesen seien.

Jetzt ging es bergauf und es wurde uns warm. Der anfangs ausgebaute Weg ging wiederin einen Trampelpfad über. Dieser war durchaus eine kleine Herausforderung. Der Bodenwar aufgeweicht, da es an den Tagen davor ordentlich geregnet und geschneit hatte. Wir waren Glückskinder. Vor und nach unserer Wanderung herrschte Gruselwetter. UnsereWanderung fand bei trockener, windstiller Witterung statt. Ich bedanke mich an dieser Stelle ganz herzlich bei unserem Wettergott, der unserer Gruppe ideales Wanderwetter beschert hat.

Der nächste Höhepunkt war die im Jahr 1628 erbaute, zweitälteste Loretokapelle in

Baden-Württemberg. Hier erfuhren wir Insidergeschichten über die Binsdorfer, Erlaheimer und Geislinger. Es mussten früher rauhe Sitten geherrscht haben und die Einwohner der drei genannten Ortschaften waren sich wohl nicht immer so ganz grün, was sich bis in die heutige Zeit hinein zieht. Dennoch nahmen die Binsdorfer die Erlaheimer in ihre katholische Gemeinde auf, kurz bevor sie zu den Protestanten überlaufen wollten. Die Geislinger mockierten sich über die Binsdorfer und sollen gesagt haben: Ach, da kommt ja schon wieder so ein „Städter“ daher gelaufen. Die größere Gemeinde Geislingen hatte nämlich keine Stadtrechte. Erst als Binsdorf in der Gemeindereform 1974 zu Geislingen kam, erhielten diese am 1.1.1975 den Stadttitel verliehen. Ein Hoch auf die Binsdorfer. In unserer Gruppe befanden sich zwei „Erlaheimer“. Wir spekulierten, dass sie sich im Schutz der Gruppe unauffällig und unerkannt in Binsdorf haben umschauen wollen. Doch sie verneinten dies vehement und meinten, dass es ihrerseits keine Animositäten gegen die Binsdorfer geben würde. Spaß muss sein. Und den hatten wir auch. Es wurde viel gelacht, sich ausgetauscht und geneckt.

Die Loretokapelle verließen wir über einen Kreuzweg in Richtung Binsdorf, passierten den Friedhof mit seiner ebenfalls sehr schönen, katholischen St. Michaels Kapelle, welche 1925 erbaut wurde und im Innern mit einem Altarfresco versehen ist, welches den Erzengel Michael zeigt, der die Toten auf den Weg ins Jenseits begleitet. Drei männliche Grazien posierten für die Fotografin und marschierten dann einträchtig durch eine von alten, stattlichen Bäumen gesäumten Allee in die Zielgerade zum „Gasthaus zum Löwen“. Der Besitzer des Gasthauses empfing unser Gruppe eine Stunde vor der normalen Öffnungszeit. Wir durften an einer langen Tafel Platz nehmen. Ein Kachelofen sorgte für ein wohliges Ambiente und die servierten Getränke und Speisen taten ihr übriges dazu, dass es uns so richtig gut ging.

Für mich war dieser Tag menschlich, geschichtlich, landschaftlich besonders schön und ich bedanke mich bei allen die dabei waren und dazu beigetragen haben.

 

Carmen Diessner

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